Bis zum Jahr 2022 suchen eine halbe Million Inhaber von kleinen und mittleren Unternehmen eine Unternehmensnachfolge, wie eine KfW-Studie prognostiziert. In welchen Fällen unterstützen Sie die Gesellschafter dabei, das Nachfolgerpotenzial zu erschließen?
Dr. Michael Faller: Bei Nachfolgeprojekten finden sich unterschiedliche Konstellationen. Wir arbeiten zum einen für Familiengesellschaften im Mittelstand, die Geschäftsführer von außen suchen. Und wir werden von Privat Equity- und institutionellen Investoren beauftragt, die einen Nachfolgegeschäftsführer für das neu erworbene Unternehmen gewinnen wollen, dann in der Regel mit der Chance des Kandidaten auf Equity-Beteiligung am Portfoliounternehmen.
Welche Situation finden Sie in Familienunternehmen vor?
Können oder wollen die eigenen Kinder die Firma nicht übernehmen und steht kein ausreichend qualifizierter interner Kandidat zur Verfügung, entscheiden sich die Inhaber für die Übergabe oder Nachfolge an Außenstehende, um das Unternehmen zu erhalten und weiterzuführen. Den meisten Familienunternehmen ist bewusst, dass von der Suche und Auswahl bis zum Übergabeprozess eine herausfordernde Aufgabe auf sie wartet. Da sie zwar Recruiting Erfahrung haben, aber nicht auf der Geschäftsführungsebene – zum Beispiel weil der jetzige Stelleninhaber zehn oder zwanzig Jahre an Bord ist – werden wir beauftragt, sie dabei zu unterstützen.
Worin liegen aus Sicht der Mandaten die Schwierigkeiten bei der Besetzung dieser Schlüsselposition?
Häufig haben sie vorher in ihrem persönlichen Netzwerk recherchiert, ob ein Manager von außen Interesse zeigt. Während dieser Bemühungen konnten sie erkennen, wie komplex die Anforderungen und Erwartungen an den potenziellen Nachfolger für die Geschäftsführungsaufgabe sind, und wie schwierig sich eine Suche gestalten kann. Zudem gibt es häufig interne Kandidaten, bei denen die Gesellschafter aber nicht sicher sind, ob sie der Managementaufgabe fachlich und persönlich gewachsen sind. In dieser Situation entscheiden sich die Gesellschafter oft, einen spezialisierten Berater hinzuzuziehen, der ihnen nicht nur die Suche abnimmt, sondern sie im ersten Schritt bei der Erstellung eines detaillierten Profils des künftigen Top-Managers unterstützt. Im nächsten Schritt identifizieren wir passende Kandidaten im externen Markt, beziehen interne Kandidaten in den Prozess ein, übernehmen die fachliche und persönliche Beurteilung der internen und externen Talente und begleiten den Auswahlprozess.
Sie selbst haben auch die Nachfolge in einem familiengeführten Unternehmen übernommen. Welche Erfahrungen nehmen Sie daraus mit für Projekte, die Sie begleiten?
Zunächst einmal führt die gelebte Erfahrung dazu, dass mir das Thema am Herzen liegt. Mein Vater hat die Baumann Unternehmensberatung vor knapp 40 Jahren übernommen und das Geschäft zu einem unverwechselbaren Beratungshaus aufgebaut. Als der Zeitpunkt der Nachfolgeplanung akut wurde, gab es unterschiedliche Ansätze, in welcher Konstellation es weitergeführt werden sollte. Am Ende bin ich in die Geschäftsführung eingetreten mit dem klaren Ziel, das Unternehmen zu übernehmen. Daher kenne ich die Herausforderungen in Familiengesellschaften sehr gut, sowohl von der strategischen und operativen Seite als auch von den psychologischen Momenten. Ob ein Familienmitglied in die Fußstapfen des „Kapitäns“ tritt oder aber ein Fremdgeschäftsführer – die Herausforderungen ähneln sich.
Welche Probleme sehen Sie am häufigsten?
Wir begleiten viele Projekte, in denen sich der oder die Gesellschafter nicht komplett zurückziehen. Sicherlich können sich interne und externe Manager gut ergänzen, aber sie können sich genauso behindern. Der Inhaber verfolgt das Interesse, sein Lebenswerk langfristig zu erhalten; das will der Nachfolger auch, aber mit seiner Erfahrung möchte er die Firma auf die nächste Entwicklungsstufe heben. Je operativer der Altinhaber im Tagesgeschäft mitmischt, desto weniger wahrscheinlicher ist es, dass eine langfristige Zusammenarbeit gelingt. Wenn wir Einfluss an dieser Stelle nehmen dürfen, dann rate ich dazu, eine klare Trennung zwischen operativer Geschäftsführung und der Gesellschafterfunktion des Inhabers zu vollziehen.
Studien zeigen, dass sich mittelständische Unternehmer oft zu spät um ihre Nachfolge kümmern. Wie viel Zeit sollten sie dafür mindestens einplanen?
Dies ist unter anderem von der Gesellschafterstruktur und der Art der Nachfolge abhängig. Wir begleiten häufig Fälle, in denen neue Geschäftsführende eine Minderheitsbeteiligung angeboten bekommen. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Private-Equity-Investor das Unternehmen weiterführt. In diesen Konstellationen sind neben den klassischen suchbezogenen Fragestellungen auch rechtliche, steuerliche und finanzielle Fragen zu klären. Der reine Such- und Vorauswahlprozess dauert von unserer Seite drei bis maximal vier Monate.
Welcher Typus von Kandidat oder Kandidatin wird gesucht?
Gerade bei kleineren und mittleren „Mittelständlern“ der Umsatzgröße bis 50 Mio. EUR sind die Anforderungsprofile häufig sehr spezifisch. In der Regel liegt der Fokus auf Top-Kandidaten von Wettbewerbern oder zumindest aus der Branche. Gesucht werden Manager, die einerseits fachliche Exzellenz mitbringen und andererseits über Hands-on-Mentalität und Bodenständigkeit verfügen. Da gerade im Mittelstand neben der rein fachlichen auch die kulturelle Passung zum Unternehmen sehr hoch sein muss, arbeiten wir in der Auswahlentscheidung unter anderem mit diagnostischen Werkzeugen, um zu eruieren, ob die Persönlichkeitsmerkmale des Kandidaten zur Kultur passen. Daher ist der Vorausauswahlprozesssehr intensiv. Nach der Vorstellung der Kandidaten beginnt dann die Entscheidungsfindung beim Auftraggeber, die wir eng beratend begleiten.
Hat die Corona-Pandemie Auswirkungen auf die Planung der Unternehmensnachfolge in der Pandemie?
Im Frühjahr 2020 haben wir auf Seiten der Auftraggeber ein Zögern bemerkt. Abberufungen auf Managementebene oder Veränderungen in der Geschäftsführung wurden eher vermieden. Doch bereits im Herbst konnten wir feststellen, dass die Anzahl der Mandate für die Suche von externen Geschäftsführern annähernd auf dem Vorjahresniveau lag.
Auf Seiten der potenziellen Kandidaten konnten wir ebenfalls ein Zögern beobachten: Manche Geschäftsmodelle im Mittelstand sind in der Pandemie stark unter Druck geraten. Das gilt insbesondere für den Bereich Automotive und Maschinenbau. Angehende externe Geschäftsführer orientieren sich daran, welche Zukunftsaussichten ein Unternehmen hat. Solange dies unklar ist, prüfen sie im Nachfolgeprozess sehr genau, ob sie zum jetzigen oder zu einem späteren Zeitpunkt die neue Aufgabe annehmen. Dieses Abwarten hat die Suche durchaus verlangsamt. Gleichzeitig wächst jedoch der potenzielle Kandidatenkreis – gerade aus der Automotive- und Maschinenbaubranche sowie anderen produzierenden Bereichen. Erfahrene und erfolgreiche Top-Manager ziehen häufiger als zuvor in Betracht, ihre Karriere in der Geschäftsführung und Beteiligung bei einem Mittelständler fortzusetzen.